Botschafter

Am zweiten Tag mussten alle um 9:00 Uhr geduscht und angezogen, gefrühstückt und gepackt, das Gepäck verladen und selbst auch wieder im Bus sitzen. Das gelang nicht ganz pünktlich und der Bus brauchte endlos lange, um die kurze Strecke bis zum Justizpalast zurückzulegen. Mit einem grauen Blick über die graue Stadt verabschiedeten wir uns von den meisten Schülerinnen, die wieder in die Stadt ausschwärmten. Die Lehrerinnen und einige Schüler*innen besuchten den Justizpalast und das Magritte-Museum, den Königspalast sahen wir nur noch im Laufschritt, weil die Zeit drängte: um 13:00 Uhr mussten wir wieder am parlamentarium sein. Und das möglichst satt, denn lange würde es keine Gelegenheit zum Essen geben. Hier gab es einige Verwirrung: Wo treffen wir uns? Am Parlament? Am parlamentarium? Oder war es doch das Planetarium?

Es war das parlamentarium, ganz in der Nähe des Parlaments, ein Museum zur Geschichte der EU. Multimedia-Guides führen die Besucher ins Zentrum des Europäischen Parlaments und erklären, wie sich die europäische Zusammenarbeit entwickelt hat, wie das Europäische Parlament arbeitet und was seine Mitglieder tun, um die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen. Im Parlamentarium erfuhren wir viel über die Geschichte Europas und die verschiedenen Entwicklungen im Bereich Migration, Integration und die Herausforderungen des modernen Europas. Mithilfe von Smartphones und Kopfhörern konnten wir die Geschichten unterschiedlicher Menschen hören – von persönlichen Erfahrungen über Liebe und Glück bis hin zu spannenden, politischen Lebenswegen.

Im Anschluss ging es gleich weiter zum Rollenspiel: Zwei Stunden hochkonzentrierte Arbeit wie auch für die Abgeordneten des EU-Parlaments bei der Gesetzgebung nötig. Ach so: es heißt nicht Gesetz-gebung, das EU-Parlament verabschiedet Richtlinien, diese Richtlinien werden dann von den Länderparlamenten zu Gesetzen. Alles sehr kompliziert.
Jeder der 31 teilnehmenden Schülerinnen bekam ein auf seinen Namen personalisiertes Handy ausgeteilt und wurde einer von vier (erfundenen) Fraktionen zugeordnet: Die Europäische Solidaritätsfraktion Hauptziel: Das Hauptziel dieser Fraktion ist der Wohlfahrtsstaat. Sie spricht sich für die Intervention des Staates als Erbringer öffentlicher Dienste und Finanzen aus. Die Europäische Umweltfraktion Hauptziel: Diese Fraktion steht vor allem für den Umweltschutz, setzt sich jedoch auch für die soziale Gerechtigkeit und Freiheit ein. Die Europäische Freiheitsfraktion Hauptziel: Die Freiheitsfraktion glaubt an die Verantwortung des Einzelnen und an Marktmechanismen. Sie spricht sich für freies Unternehmertum und Wettbewerb und gegen staatliche Intervention aus. Die Europäische Traditionsfraktion Hauptziel: Sie glaubt an eine Gesellschaft, in der sich staatliche Intervention und private Initiative die Waage halten sowie an realistische Gesetzgebungsziele Damit gingen sie in einen Raum; der aufgeteilt war in vier Fraktionsräume (Sitzecken), zwei Räume für Besprechungen der beiden Fallbeispiele, ein Plenum (Parlament) und ein Pressezentrum, sowie Gänge für die Begegnung für Bürgern und Lobbyisten. Unter großem Zeitdruck mussten die Teilneh-merinnen sich multimedial informieren, den Anweisungen zum Raumwechsel folgen, diskutieren, vor die Kamera im Pressezentrum treten, Im Parlament sprechen und abstimmen.
Jede Gruppe arbeitete gemeinsam, um Informationen zu einem bestimmten Thema zu sammeln, und bereitete sich darauf vor, diese vorzustellen. Eine Person pro Gruppe übernahm die Rolle eines Frak-tionssprechers und stellte die Position der Gruppe vor, sodass am Ende ein gemeinsamer Beschluss erarbeitet werden konnte. Jede Fraktion hatte unterschiedliche Stimmenanteile, aber keine hatte die Mehrheit, so mussten Koalitionen gebildet werden.
Diese Simulation dauerte etwa zwei Stunden und gab uns einen realistischen Eindruck davon, wie komplex und zugleich spannend die Arbeit im Parlament sein kann.

Fall 1: Der Umweltausschuss – Wassersolidaritätsrichtlinie.
Aufgrund des Klimawandels leidet Europa an Ungleichgewichten in seinen Wasservorräten. Die Mitgliedstaaten haben beschlossen, ihre Ressourcen zu vereinigen und eine Wasserrohrleitung durch die gesamte EU zu bauen. Obwohl der Bau bereits begonnen hat, geht aus den letzten Forschungsergebnissen hervor, dass unsere Wasservorräte immer noch 30-prozentiges Defizit aufweisen. Die Kommission schlägt die Wassersolidaritätsrichtlinie als Maßnahmenplan für die Wasserverwaltung vor.

Fall 2: Die Richtlinie über bürgerliche Freiheiten – Personenerkennungsrichtlinie.
Implantierte Mikrochips sind in Europa bereits aus Gesundheits-, Erkennungs- und Sicherheitsgründen in Verwendung. Manche sind der An-sicht, dass diese Erkennungstechnologie mit Vorteilen verbunden ist, während andere die Auffassung vertreten, sie sei vollkommen unan-nehmbar. Die Europäische Kommission sieht hier Bedarf, die Verwendung implantierter Chips zu regulieren, um individuelle Grundrechte zu
sichern und ihren potentiellen Missbrauch einzuschränken – die Personenerkennungsrichtlinie.

In der Schule habe ich noch nie gesehen, dass sich Schüler*innen so schnell von einem Raum in einem anderen bewegen können. Die Rede-beiträge waren auf 30 Sekunden begrenzt. Der pure Stress! Es wurde intensiv gearbeitet, auch wenn die Konzentration am Freitagnachmittag schwerfiel.
Dann mussten wir uns leider schon wieder von Brüssel verabschieden und in den Bus einsteigen. Zufrieden und glücklich über die vielen neuen Eindrücke und Erfahrungen kamen wir an unserem Ziel an.

Abschließend möchten wir uns herzlich bei Frau Gründler, Frau Hagemann und Frau
Johannisson bedanken, die uns auf dieser Reise betreut und unterstützt haben. Dank ihrer Begleitung und Organisation hatten wir eine tolle und lehrreiche Zeit in Brüssel. Wir freuen uns auf zukünftige Exkursionen und hoffen, dass wir erneut die Gelegenheit bekommen, so viel über Europa und seine politische Arbeit zu erfahren.

Abschließend möchten wir uns herzlich bei den Juniorbotschafterinnen und Projektkursteil-nehmerinnen bedanken, denn auf der ganzen Fahrt haben sie gezeigt wie begeisterungsfähig, aufmerksam und interessiert sie alle Eindrücke aufgenommen haben. Es gab trotz grauem, kaltem Herbstwetter nur gute Laune und keinen Ärger. Da lohnt sich der Einsatz und macht Lust auf weitere Aktivitäten.

© Eine Gemeinschaftsproduktion der Juniorbotschafterinnen und Frau Gründler